Meine Mutter, Pauline Leingang, hatte am Nowosibirsker „NETI„, der Staatlichen Technischen Universität Nowosibirsk (hier der deutsche Wikipedia Artikel), Ingenieurwissenschaften (Fachgebiet Maschinenbau) studiert. In diesem Beruf – die naturwissenschaftlichen Diplome der damaligen Sowjetunion wurden in der Regel problemlos anerkannt – arbeitete sie bis ins Rentenalter. Nebenbei engagierte sie sich viele Jahre lang in der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland sowie für deren Zeitschrift „Volk auf dem Weg“.

Mein Vater, Johann Leingang, hatte am Pädagogischen Institut für Fremdsprachen (seit 1997: University of International Relations and World Languages) Deutsch und Deutsche Literatur in Almaty, (damals: Alma-Ata, Hauptstadt der Sowjetrepublik Kasachstan) studiert. Er arbeitete anschließend sowohl in Nowosibirsk als auch in Chirchiq als Lehrer, zuletzt an der Spezialschule Nummer 13 (in der die Deutsche Sprache ab dem dritten Schuljahr unterrichtet wurde) als (Klassen-) Lehrer für Deutsch, Deutsche Literatur und Russisch.
Weil man Ende der 1970-er Jahre in Deutschland keinen großen Bedarf für Lehrer hatte und die Lehramt-Diplome aus der Sowjetunion in der Regel in Deutschland nicht anerkannt wurden, machte er, damals immerhin schon „Mittvierziger“, eine Umschulung zum Industriekaufmann und arbeitete daraufhin ein Jahr lang im Kulturamt der Stadt Augsburg.
Seine „endgültige“ berufliche Heimat fand er aber als staatlich anerkannter und öffentlich vereidigter Übersetzer für das Sprachenpaar Russisch-Deutsch.
Als der Zustrom der Deutschen (Definition dieser Gruppe hier) aus der ehemaligen Sowjetunion Ende der 1980-er immer größer wurde und mit Michail Gorbatschows Aufheben aller Reisebeschränkungen im Jahr 1990 mit fast 400000 Menschen seinen Höhepunkt erreichte (insgesamt kamen etwa 2,4 Millionen Deutsche aus Russland in ihre Heimat zurück, Quelle), gab es natürlich einen riesigen Bedarf and Übersetzungen von Dokumenten aus der russischen in die deutsche Sprache, seien es Führerscheine, Geburtsurkunden, Zeugnisse oder Arbeitsbücher. Und hier kommt wohl die schicksalhafte Verbindung zwischen dem Beruf meines Vaters und meines eigenen Berufs: Eine effiziente, automatisierte Übersetzung von Dokumenten war damals schon mit Hilfe eines Computers möglich aber bei weitem nicht gängig: der sogenannte IBM-Kompatible PC wurde erst 1981 „erfunden“ und kam 1983 auf den deutschen Markt, kaufkraft-bereinigter Kaufpreis damals: 8500€! Ich kaufte mir im Jahre 1984, damals noch Schüler, einen Atari ST und führte meinen Vater in die legendäre Textverarbeitung „Signum!“ ein, die – damals in dieser Preisklasse eine Sensation – auch kyrillische, arabische und andere Zeichensätze beherrschte. Damit war es meinem Vater schon Mitte der 1980-er Jahre möglich, eine große Anzahl von Dokumenten effektiv zu übersetzen und dadurch dem steigenden Bedarf gerecht zu werden.
Unser Verwandter, Stefan W. Leingang aus Rülzheim (der im Gegensatz zu uns nie in der Sowjetunion war, weil eben nur ein Teil unserer gemeinsamen Vorfahren im 18-ten Jahrhundet aus der Pfalz nach Russland ausgewandert war), widmet meinem Vater eine eigene Seite, die die ganze Leingang-Story aus Sicht meines Vaters beschreibt.

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